Zu den interessantesten Büchern, die ich in den letzten Jahren gelesen habe, gehört das Buch "Flow. Das Geheimnis des Glücks" (engl. "Flow: The Psychology of Optimal Experience") von Mihaly Csikszentmihalyi. Das Wort "Flow" hat es bis in die Alltagssprache geschafft. Die Forschungsarbeiten Csikszentmihalyis haben wesentlich dazu beigetragen, auch wenn dieser Name im Alltag weniger geläufig ist.
Das Wort "Flow" wird meinem Eindruck nach durchaus treffsicher verwendet. Trotzdem ist es nicht einfach, den Begriff genau zu definieren.
Die Flow-Theorie ist interessant, weil sie in engem Zusammenhang mit relevanten Themen steht, wie z.B.:
Die Flow-Theorie kann sich auf empirische Untersuchungen berufen. "Empirisch" bedeutet in diesem Zusammenhang, dass Versuchspersonen dazu befragt wurden, in welchen Situationen sie "Flow" erlebten. Dazu wurden die Versuchspersonen mit Geräten ausgestattet, die nach zufälligen zeitlichen Abständen ein akustisches Signal ertönen ließen. In diesen Momenten sollten die Versuchspersonen schriftlich festhalten, womit sie beschäftigt waren und wie sie sich dabei fühlten.
Das Ergebnis: Flow-Zustände können bei den unterschiedlichsten Tätigkeiten erlebt werden, wie z.B. Klettern, Kochen oder Autofahren. Besonders häufig wird Flow bei sogenannten autotelischen Tätigkeiten erfahren, also Tätigkeiten, die um ihrer selbst willen ausgeführt werden. Auch Arbeit kann eine ergiebige Quelle von Flow-Erfahrungen sein.
Die Flow-Theorie ordnet sich in einen uralten philosophischen Diskurs ein: die Frage nach dem Glück. In der Flow-Theorie wird Glück ziemlich nüchtern als Flow-Zustand aufgefasst. Für Csikszentmihalyi sind Flow-Zustände durch ein hohes Maß an Konzentration gekennzeichnet. Flow ist ein Zustand genau in der Mitte zwischen Über- und Unterforderung. Eine allgemein akzeptierte Formel zur Definition des Flow-Zustands scheint es nicht zu geben. Es werden verschiedene Merkmale des Flow-Zustands genannt, auch literaturübergreifend:
Csikszentmihalyi nutzt bei der Erläuterung seiner Theorie den eher abstrakten Begriff der Entropie aus der Physik. Entropie wird manchmal als eine Größe umschrieben, die für "Unordnung" oder "Chaos" steht. In Analogie zur Entropie spricht Csikszentmihalyi auch von einem inneren Chaos, das subjektiv als Stress (Überforderung) oder Langeweile (Unterforderung) erlebt wird. Im Flow-Zustand wird eine neue innere Ordnung geschaffen. Aus diesem Grund ist der Flow-Zustand wertvoll.
Csikszentmihalyi beschreibt Flow jedoch nicht als rein positiven Zustand. Flow kann auch im Kontext von Ideologien erlebt werden. Csikszentmihalyi nennt aus seiner persönlichen und historischen Erfahrung Beispiele wie den Faschismus und Kommunismus, die ihren begeisterten Anhängern ebenfalls Flow-Erfahrungen ermöglichten. Mir kommt in diesem Zusammenhang eine Figur wie Friedrich der Große in den Sinn, der es liebte, auf einer Querflöte zu spielen, aber auch eine Vorliebe für Militarismus hatte. Ich bin sicher, dass auch unsere Gegenwart Beispiele liefert.
Die Flow-Theorie liefert wertvolle Impulse für angrenzende Fachbereiche. Was für guten Unterricht gilt, z.B. klare Ziele, Feedback oder Selbstwirksamkeit (Hattie und Zierer 2017), scheint sich mit den Rahmenbedingungen zu decken, die auch für die Flow-Erfahrung gelten.
Bei der Erklärung des Flow-Zustands würde ich eine Anleihe in der Technik nehmen: In einem Moment der Konzentration wird Wahrnehmung als kritischer Faktor erlebt. Es erfolgt eine ähnliche Kalibrierung. Dies erklärt z.B., warum Autofahren von vielen Menschen als Flow-Erfahrung erlebt wird. Man wird dabei zur Konzentration gezwungen. Innere Ordnung ist eine Notwendigkeit und kein Luxus. Etwas Ähnliches geschieht auch im Sport, auf der Arbeit, in Lernumgebungen – kurz in allen Situationen, in denen es um etwas geht.
Interessant ist die Flow-Theorie, weil sie meiner Meinung nach Erklärungsansätze für zwei wenig verstandene Aspekte des Lebens liefert: Das Spielen im Kontext des Lernens und Ideologiekritik.
Es gibt eine wachsende Zahl von Büchern, die den Flow-Gedanken aufgreifen und aus praktischer Perspektive beleuchten, wie z.B. "The Flow State" von Frederick Dodson (2021). Besonders interessant finde ich, wie Dodson das Vergessen der Zeit im Flow-Zustand beschreibt.
EEG-Untersuchungen im Zusammenhang mit dem Spielen von Jazz-Musik zeigen, dass Flow-Zustände Übung voraussetzen. Übung verschafft die Möglichkeit, dass bewusste Kontrolle aufgegeben werden kann. Dieses Aufgeben von Kontrolle wird als Flow erlebt (Quelle: Deutschlandfunk Wissenschaftsmeldungen vom 05.03.2024).
Ich glaube, dass über Flow sehr viel zu sagen wäre. Es handelt sich nicht um ein geschlossenes Theoriegebäude. Auffällig ist die große Bandbreite von Themen, die mit der Flow-Theorie zusammenhängen. Es ist ein persönlicher Gewinn, kritisch und kreativ darüber nachzudenken, bei welchen Gelegenheiten man selbst Flow erlebt.
Csikszentmihalyi, Mihaly (1992). Flow. Das Geheimnis des Glücks. Stuttgart: Klett-Cotta (in den folgenden Jahren sind diverse neue Ausgaben erschienen.)
Csikszentmihalyi, Mihaly (1990). Flow: The Psychology of Optimal Experience. New York: Harper and Row (englischer Titel)
Dodson, Frederick (2021). The Flow State. Techniques for Effortless High Performance. [Ort unbekannt]: Lulu Press, Inc.
Hattie, John, und Zierer, Klaus (2017). 10 Mindframes for Visible Learning: Teaching for Success. [Illustrierte Ausgabe]. Abingdon (UK): Routledge.
Deutschlandfunk. Wissenschaftsmeldungen. Ausgestrahlt am 05.03.2024.